Die Haustür fällt ins Schloss…
Es ist 01.15Uhr nachts,
auf dem Rücksitz meines kleinen Daihatsu Materia schlafen unsere zwei Söhne
in ihren Kindersitzen,
vor mir fährt Sascha.
Wir fahren zum vierten Mal unseren restlichen Besitz rüber zur Scheune von Bekannten,
in der unser Wohnmobil, Tante Batty, steht.
Es ist der 01.November 2020.
Es ist kalt, es regnet.
Wir fahren die Strecke nun bald auswendig und ich hänge meinen Gedanken nach:
„Was machen wir hier bloß?
Ist das wirklich der richtige Weg?“
Wie als Antwort darauf, wird der Kleine in seinem Kindersitz kurz wach,
weint und schläft dann gleich wieder ein.
Ab und zu wird auch der Große wach und fragt, wo das Wohnmobil hin ist,
um dann direkt wieder einzuschlafen.
Wie gerne würde ich mich grade mit ihnen irgendwo einkuscheln.
Mir tut alles weh.
Körper und Herz.
Immer wieder lasse ich die letzten Wochen und Monate Revue passieren
und frage mich, wie alles so völlig daneben laufen konnte?
Bin ich doch die Frau bei der alles nach Plan laufen muss
und zur Not gibt es Plan B, C, D,.. und so weiter.
Extreme Wasserschäden, plötzliche Motorprobleme,
Gasprüfer mit verschiedenen Meinungen und einiges mehr,
haben unser ohnehin schon zugegebenermaßen schlechtes Zeitmanagement
am Ende ziemlich überfahren.
Ich lasse auch den heutigen Tag mit unserem ehemaligen Vermieter
und den Hauskäufern nochmal in meinem Kopf ablaufen,
aber er lässt mich nur wieder mal wütend mit der Frage zurück,
wie empathielos und ignorant Menschen sein können.
Es liegen Monate hinter uns, die unserer Familie unvorstellbar viel abverlangt haben,
obwohl wir noch dankbar auf sehr viel Hilfe zurück schauen können.
Nun haben wir 90% unseres Hab und Guts verkauft, unser Mietshaus gekündigt
und jeden Euro und fast jede freie Minute in unseren Traum vom „VanLife“ gesteckt.
In unserem Traum wollten wir heute die erste Nacht in unserem neu aufgebauten,
eingeräumten, sauberen Wohnmobil verbringen…
*Plop* das Platzen einer Traumblase
Wir sind da;
Sascha schiebt hinter meinem Auto das
große Scheunentor zu, während ich die Handbremse anziehe und den Leerlauf ein lege.
Ich atme tief durch und schicke ein kleines Gebet zum Himmel,
dass die Zwei in ihren Kindersitzen noch weiter schlafen, bis wir fertig sind.
„Jetzt nicht weiter nachdenken, einfach machen.“, sage ich mir, steige aus
und lege die letzten Teile auf unseren riesigen Haufen neben dem Wohnmobil.
Gut, dass ich da noch nicht wusste, wie oft ich diesen Satz
in den nächsten 12 Wochen denken würde…
Es ist kurz nach 2 Uhr nachts, als wir alle in unseren Betten liegen
und die erste Nacht in Tante Batty schlafen
und von einer anderen Zukunft träumen.
Die Luft ist raus
Die nächsten sechs Wochen leben wir dort,
auf dem Grundstück von Familie und Freunden meiner besten Freundin
und versuchen die alte Tante nun endgültig fertig zu bekommen.
Doch manchmal ist die Luft einfach raus, so sehr man auch sein Ziel erreichen will.
Sascha, der sowohl nachts als auch tagsüber körperlich hart arbeiten musste
und immer häufiger krankgeschrieben wurde, versucht zwar jeden Tag noch das meiste raus zu holen,
doch auch hier ist schnell klar, dass das auf engstem Raum mit zwei Kindern
und meist Minusgraden außerhalb des Wohnmobils kaum zu schaffen ist.
Der erste Abschied
So kommt, Anfang Dezember, der Tag des Abschieds in der Eifel:
Der Kleine-Wikinger verabschiedet sich von seinem besten Freund
und ich mich von meiner besten Freundin.
Mit dem Gedanken, zwischen den Feiertagen nochmal
einen ausgiebigen Abschied zu zelebrieren,
schob ich den ersten aufkommenden Herzschmerz erst Mal nach hinten.
Der Plan:
wir wollen die letzten 3 Wochen in Deutschland, Weihnachten und Silvester,
bei unseren Familien in Nordrhein-Westfalen verbringen
und am 01.01.21 in unser reisendes Leben starten.
Was für ein passendes Datum (… es gewesen wäre 😉)
Doch die Corona-Lage in Deutschland macht es auch uns nicht leichter.
Während Sascha glücklicherweise mit dem Wohnmobil
bei Freunden in Nrw unter kommen kann
und dort weiter arbeitet, ziehe ich mit den Kindern bei meinen Eltern ein.
Manchmal sehen wir uns über einen langen Zeitraum gar nicht,
um niemanden unnötig zu gefährden oder in Schwierigkeiten zu bringen.
Dass wir es nicht schaffen werden am 01.01.21 unsere Reise zu starten,
ist da schon jedem klar, doch die Hoffnung, noch im Januar los zu können bleibt.
Wir bekommen für Anfang Januar einen Werkstatt-Termin,
der dann aber ziemlich frustriend verläuft,
weil wir nicht am terminierten Tag dran kommen
und dem Chef erst am folgenden Tag auf fällt,
dass unsere alte Dame viel zu hoch für die Werkstatt ist…
Kurz davor haben wir erfahren, dass wir doch noch einiges zu schwer sind.
Entgegen unseres Plans müssen wir also doch noch einen Lagerraum mieten,
denn die Kellerkapatzitäten unserer Verwandten haben wir schon ausgenutzt.
Also geht die Sucherei von vorne los
und Sascha ruft fast jede mögliche Werkstatt in Solingen und Umgebung an.
Wir haben auch hier wieder Glück im Unglück
und können schon in der darauf folgenden Woche zum Check-Up kommen.
In der Zwischenzeit heißt es, alles ausräumen,
wiegen und wieder einräumen
oder in den Lagerraum bringen.
Ich wusste bis dahin nicht, dass ich jemals Gewicht in Gegenstände umrechnen würde,
aber von da an fielen häufig Sätze wie:
„Willst du den Pulli wirklich noch mitnehmen?
Für die 500g könnte man auch z.B. drei Kartenspiele einpacken.“
oder so ähnlich.
Wir spulen vor:
Es ist der 21.01.21.
Wir haben vor etwas mehr als einer Woche erfahren,
dass unser Wohnmobil eine komplette Überholung benötigt.
Zitat des Kfz-Meisters:“ Wenn ihr nicht schon so viel in das Wohnmobil gesteckt hättet,
würde ich euch davon abraten.
Aber wenn so ein LT-Motor einmal überholt wurde, sind die fast unkaputtbar.“
Und ja, welche Alternative haben wir denn?
Wir nehmen unser letztes Erspartes in die Hand,
bekommen noch Geld von der Familie geliehen
und für nochmals mehrere tausend Euro wird unsere Batty repariert,
gecheckt und über den TÜV geschickt.
An besagtem Tag sitze ich also vor dem Laptop meiner Mama
und versuche mich im Homeoffice, mit zwei völlig überdrehten Kindern,
auf meine Arbeit zu konzentrieren.
Alle anderthalb Minuten wandert meine Hand zum Handy,
ich warte auf den erlösenden Anruf von Sascha, der mir sagt,
dass er unsere Tante Batty mit nehmen kann.
Wir können nicht mehr.
Wir wollen los.
Mehr denn je.
Wir alle vier haben Wochen hinter uns, die von so viel Verlust, Streit,
Zweifel und Sorge geprägt waren.
Wir wollen uns freitags bei unseren Familien in NRW verabschieden,
am Wochenende über die Eifel ins Saarland, nach Frankreich
und dann nach Spanien.
So der Plan, doch die Nachrichten beunruhigen uns.
Laut deutschen Medien soll Frankreich genau an diesem Wochenende
seine Maßnahmen verschärfen,
weswegen wir uns zu einem Transit entscheiden,
bevor die Einreise in Frankreich nur noch mit Test möglich ist.
So wird plötzlich,
mal wieder,
jeglicher Plan über den Haufen geworfen
und wir sitzen ohne großen Abschied, das erste Mal gemeinsam,
in Batty auf dem Weg so schnell wie möglich nach Frankreich.
Es fühlt sich nach Flucht an.
Nicht so, wie es sein sollte.
Doch ganz leise fangen wir an uns zu freuen,
auf die Sonne, die Wärme, den Sand unter den Füßen.
Das Ende eines Traums?
Samstag Nachmittag wollen wir uns hinter Nancy einen Schlafplatz suchen.
Wir haben zwar schon bemerkt, dass die alte Tante nicht die schnellste ist,
haben uns aber sagen lassen, dass die Lt’s generell eher auf Kraft,
statt Geschwindigkeit setzen
und entscheiden uns trotzdem ein kleines Stück Autobahn zu fahren.
Die Autobahn bei Nancy ist absolut nicht steil,
zieht sich aber aufgrunddessen unendlich lang nach oben.
Und unsere Batty wird langsamer und langsamer, 75km/h, 60km/h,
Warnblinker an,
50km/h,
„scheiße, warum gibt es hier keinen Standstreifen?„,
40km/h, 30km/h,
ja wir sind immer noch auf der Autobahn,
20 km/h, aus.
Wir stehen.
Wir bitten und beten, dass Batty wieder anspringt,
wir wollen nur noch runter von der Autobahn und schauen was da los ist.
„Bitte, bitte fahr weiter.“ höre ich mich flehen,
während an uns die Autos vorbei zischen.
Und ja, sie springt wieder an.
Doch nach ca. 50 Metern knallt es plötzlich.
Es fühlt sich an, als würden wir vorne absacken und eine grau-schwarze Wolke umgibt uns.
„Scheiße!!“ und noch einige andere Flüche kommen aus meinem Mund,
während ich die Warnwesten raus reiße.
Mein Kopf und mein Körper sind im Funktions-Modus.
Ich sichere die Unfallstelle und hole die Kinder aus dem Camper,
während Sascha mit dem ADAC telefoniert.
Es regnet. Natürlich.
Wir stehen am Autobahnrand auf einer matschigen Wiese
und versuchen uns mit der dicken Fell-Decke warm zu halten.
Es kommt jemand von der französischen Straßenmeisterei vorbei, der uns anbietet
uns erst mal schnellstmöglich von der Autobahn zu bringen.
20Minuten Arbeit für 250€, ein guter Stundenlohn, aber wir sind froh, da weg zu sein.
Ein Blick von Sascha in den Motorraum reicht zur Diagnose:
Kolbenfresser.
Kein Fortbewegen mehr.
Kein ADAC (wir hatten in dem ganzen Stress vergessen den ADAC aufs Ausland zu erweitern)
und keine französischen Sprachkenntnisse.
Irgendwann an diesem Abend brechen bei mir alle Dämme.
Alle unerlaubten Tränen, alle nicht-ausgesprochenen Ängste und Gedanken,
Sorgen, und Gefühle suchen sich ihren Weg nach draußen.
Jeder Zentimeter meines Seins tut weh.
Und Sascha ist da um all das wieder auf zusammeln und fest zu halten.
Neue Hoffnung
Nach einem Hilferuf auf Social-Media bekommen wir
viele Hilfsangebote von Familie, Freunden und Bekannten.
Bereits Sonntag Nachmittag, also kaum 24Std nach dem Unglück,
werden wir dank lieben Freunden bereits Richtung Mosel abgeschleppt
und wir dürfen vorerst bei Freunden unter kommen.
Doch was nun?
Aufgeben?
Versuchen irgendwie, irgendwo eine neue Wohnung zu bekommen?
Mein Herz brach bei dem Gedanken, das meinem Sohn erklären zu müssen.
Nun hatte ich ihm so lange und so oft von anderen Ländern erzählt,
von Abenteuern und Zeit, die wir nur für uns als Familie haben würden,
um ihm jetzt zu sagen, dass das all der Schmerz und das Aushalten nun umsonst waren?
Glücklicherweise brach nicht nur mir bei diesem Gedanken das Herz
und wir wurden noch ein letztes Mal mit einer finanziellen Leihgabe beglückt.
So hieß die Frage:
Austausch-Motor oder neues Wohnmobil?
Da auch ein neuer Motor, mit Einbau und ohne Garantie,
uns viel Geld und Zeit gekostet hätte,
haben wir uns kurzerhand für ein anderes Wohnmobil entschieden.
Die Entscheidung war so schwer und doch irgendwie auch nicht.
Ein Jahr lang haben wir alles in Tante Batty investiert.
Alles Geld, alle Kraft, aber vor allem so viel Lebenszeit.
DAS war schwer aufzugeben, denn diese würden wir nie mehr zurück bekommen.
Doch das Vertrauen war einfach weg.
Vielleicht kann man es ein bisschen mit einer Beziehung vergleichen?
Beim zweiten Erwärmen gibt es oft einen komischen Beigeschmack… 😉
Neustart
Und so ist „Opa Columbus“ in unser Leben gekommen.
Mit wirklich besonders tatkräftiger Hilfe hat Sascha den Opa innerhalb einer Woche startklar gemacht
und genau einen Monat nach unserem ursprünglichen Wunsch-Start,
am 01.02.21 sind wir dann erneut in unser Reiseleben gestartet.
Innerhalb von 3 Tagen sind wir in Spanien gelandet
und sind zum ersten Mal mit dem Rauschen des Meeres eingeschlafen….
Wir möchten uns an dieser Stelle bei all den Menschen bedanken, die uns geholfen haben ♡
Wir sind euch von Herzen dankbar für all das, was ihr für uns getan habt.
Jede Große und Kleine Hilfe hat dazu beigetragen,
dass wir unseren Traum vom Vanlife erfüllen konnten. ♡